WiSe22 Projekt // Prähistorisch ≈ Postdigital? Spekulative Praktiken und Werkzeuge für »Ongoingness«*

In Zusammenarbeit mit dem Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens (MUFGT) in Weimar erkundete das Projekt „Prehistoric ≈ Postdigital“ das Spannungsfeld zwischen neuesten Technologien und ältesten materiellen und rituellen Praktiken. Im Reagenzglas unseres Gestaltunglabors wurden technologische Emergenz und gegenwärtige Bedürfnisse mit lebendiger Geschichte(n) vermengt und das Ergebnis dieser Reaktion als gebaute Prototypen erprobt und weiterentwickelt. Die Sammlung und Räume des Museums boten Anregungen für das Entwickeln eigener spekulativgestalterischer Praktiken. 

Mithilfe von Technologien wie 3D-Scanning, digitaler Modellierung und Simulation und digitaler Fabrikation (CNC-Fräsen, 3D-Drucken) greifen wir alte und durch die Industrialisierung in Vergessenheit geratene Wege, Material als „lebendig“ zu denken und zu verwenden, auf und erfinden diese neu. Ziel ist es – besonders im Angesicht von Ressourcenknappheit und Klimakatastrophe – aus der Vergangenheit zu lernen und eine zukunftsfähige Haltung zu kultivieren, um schonend, nachhaltig und gleichzeitig imaginativ mit Ressourcen umzugehen. 

*Postdigital: das Digitale ist dabei sich aufzulösen – es ist überall, wie die Luft, die wir atmen; das Digitale an sich ist nicht das Spannende – spannender ist, was wir damit machen; das Digitale lässt sich im Handumdrehen physisch herstellen und umgekehrt das Physische im Handumdrehen digitalisieren – es geht darum zu lernen, sich fließend und mit Leichtigkeit dazwischen zu bewegen und die Übersetzungen spielerisch und spekulativ auszunutzen. 

Prähistorisch: stammend aus der Zeit vor schriftlichen Aufzeichnungen. Es gibt keine Erzählungen, nur Funde – also umso mehr spekulativer Spielraum für uns. 

Ongoingness/Ongoing: zentrales Konzept in den jüngsten techno-feministischen Schriften Donna Haraways. Seine Vieldeutigkeit lässt sich nur mit einer Vielzahl von Begriffen übersetzen:

1. Weitermachen, weiterschreiben, anknüpfen, umknüpfen, (er)finden: als Gestalter*innen müssen wir uns mit dem Gegebenen, dem Vererbten (ob positiv oder negativ), dem angehäuften Datensatz, dem langsam Gewachsenen und dem schnell Zusammenbrechenden auseinandersetzen. Das ist nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern auch eine Einladung, das Vorgefundene als Quelle „anzuzapfen“ um unsere Vorstellungskraft und Erfindungsgeist anzufeuern; es ist das Gegenteil der leeren Leinwand oder des Koordinatenkreuzes vor dem gaffenden grauen Loch des Rhino-Hintergrunds: eine reichlich texturierte Punktwolke mit Millionen Raum- und Farbkoordinaten, präzise aber provokativ. 

2. Weiterbestehen, fort-, an-, überdauern: Wie ermöglichen wir Gestalter*innen, dass wir weiterbestehen können?  

3. Beharren: Wie bleiben wir dran, wie scheitern wir besser, wie denken wir in Iterationen und Prototypen?

4. Andauern, Weitermachen, fortwähren: Wie gestalten wir Arbeiten, die nicht „vollendet“ sind und es vielleicht nie sein werden, die aktiv sind und aktiv bleiben? 

Lehrende: Jun.-Prof. Dr. Thomas Pearce, Dipl.-Des. Timm Burkhardt